30.06.2022 - von Nick
Irgendwann während der Planung meines Auslandssemesters in Finnland ist mir aufgefallen, dass ich mich potentiell vor neuen Leuten als schwul outen muss. Während ich zu Hause und innerhalb meines sozialen Umfeldes ganz offen und normal damit umgehe, habe ich mir plötzlich Gedanken gemacht, dass es im Ausland nochmal ganz anders sein kann. Während das in Finnland selbstverständlich kein Problem ist und es als sehr LGBTQ-freundliches Land gewertet wird, kann es natürlich sein, dass internationale Studierende aus anderen Ländern noch nicht so aufgeklärt wie wir in Deutschland sind oder keine queeren Freunde haben. Natürlich wäre das niemals ein Grund gewesen an einem Aufenthalt zu zweifeln, aber ich hab mich darauf eingestellt, bei einigen eventuell Aufklärungsarbeit leisten zu müssen. Man darf auch nicht vergessen, dass man im universitären Umfeld und in einer großen Stadt natürlich mehr Akzeptanz erfährt als in kleineren Gegenden. Gerade im Hinblick auf Auslandssemester in Ländern wie Polen und Ungarn sollte man sowas beachten. Bei Aufenthalten außerhalb Europas solltet ihr euch vorher sicherheitshalber auf den Seiten des auswärtigen Amtes informieren, wie die Situation für die LGBTQ Community in eurem Wunschland ist.
Aber was ich eigentlich in diesem Artikel ausdrücken möchte, sind die positiven Aspekte wenn man als queere Person ins Ausland geht.
Daher folgende Beispiele:
1.) Mit Einheimischen vernetzen
Schon vor Antritt war ich neugierig, bekannte Dating Apps zu nutzen um zu sehen welche anderen Typen in meiner Gaststadt sein werden. Tinder und auch Grindr sind nicht nur zum Daten geeignet, sondern auch um einfach neue Leute kennenzulernen und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Mittlerweile gibt es sogar Apps wie Bumble BFF, die genau darauf abzielen. Und tatsächlich: ich habe über Tinder einen Finnen kennengelernt, der auch an meiner Gastuniversität studierte. Wir hatten unser erstes Treffen in der Mensa und haben uns recht schnell angefreundet. Schlussendlich war er dann Teil meines Freundeskreises und steckte mitten im ERASMUS Leben drin. Es ist ein großer Vorteil, über solche Apps neue Leute und Einheimische kennenzulernen!
2.) Ausflüge in die queere Kultur
Ich bin mit meinen Freunden in schwule Bars gegangen und war auch mit ihnen schwul feiern, was für einige, wie meinen koreanischen Freunden, komplettes Neuland war. Aber sie haben es geliebt! In meiner Stadt gab es auch Drag Shows, zu denen ich meine Freunde mitnehmen konnte. Da Finnland sehr international ist, wurden diese sogar komplett auf Englisch moderiert, wenn nicht-finnische-Muttersprachler im Publikum saßen. Ein besonderes Highlight war noch das gemeinsame Schauen des Eurovision Song Contest. Gerade meine Freunde aus den USA und Korea waren total begeistert, dass es so eine riesige und aufwendige Musikshow in Europa gibt. Gerade solche Erlebnisse waren etwas besonderes für meine Freunde, die damit bisher noch keine Berührungspunkte hatten.
3.) Zeit sich auszuleben!
Falls ihr noch nicht geoutet seid, könnte das Auslandssemester die Zeit eures Lebens werden. Schließlich lasst ihr temporär eurer altes Leben zurück, weit entfernt von Freunden und Familie, die vielleicht noch unwissend sind. In euer Gaststadt könnt ihr euch frei entfalten, neue Dinge ausprobieren und eure Sexualität ausleben. Im Auslandsemester braucht ihr keine Geheimnisse mehr haben oder ohne Profilbild auf Grindr surfen. Ich habe schon Geschichten gehört, wo jemand seine Sexualität erst in seinem Auslandssemester entdeckt hatte und dann mit einem anderen Exchange Student zusammengekommen ist. Alles ist möglich. Generell ist ein Auslandsaufenthalt immer eine tolle Gelegenheit, aus alten Mustern zu brechen und sich neu zu entdecken.
4.) Engagiert euch!
So wie es bei uns das Trans*Inter*SchwuBiLe für alle queeren Belange gibt, hat eure Universität sicherlich auch eine Anlaufstelle für alle Studierenden die sich zur LGBT Community zugehörig fühlen. Nutzt das aus, um euch auch hier mit anderen zu vernetzen und Einheimische kennenzulernen.
Im großen und Ganzen hat meine Sexualität keine große Rolle im Auslandssemester gespielt und ich habe glücklicherweise keine Diskriminierungen erfahren. Dafür habe ich meinen internationalen Freunde ganz neue Dinge zeigen können und mit ihnen viele besondere Momente erlebt. Es war zudem spannend, von internationalen Studierenden aus anderen Ländern ihre Geschichten und Coming Outs zu erfahren. Und natürlich wird einem bewusst, dass es leider nicht jeder so leicht wie wir in Deutschland hat.
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