Wie sich mein Blick auf Deutschland verändert hat, seit ich im Ausland gelebt habe
- Auslandslots*innen

- 12. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
12.11.25 - von Jana
Als ich mein Flugticket in der Hand hielt und wusste, dass ich bald als Au-pair in die USA gehen würde, war ich vor allem eines: aufgeregt. Ich wollte raus, Neues sehen, Menschen kennenlernen, mich selbst besser verstehen. Dass diese Zeit – und später auch meine Zeit in Asien – meinen Blick auf Deutschland so sehr verändern würde, konnte ich damals nicht ahnen. Heute sehe ich mein Heimatland mit anderen Augen:
liebevoller, kritischer und dankbarer zugleich.
Ich kam in eine amerikanische Familie, irgendwo zwischen Vorstadtidylle und Großstadttrubel. Meine Tage waren voll: Kinder betreuen, Kurse an der Uni besuchen, Fahrdienste etc. Anfangs war alles wie im Film – große Autos, lachende Menschen, ständig

Small Talk. Ich fand es faszinierend, wie offen Amerikaner aufeinander zugehen. Egal ob im Supermarkt oder in der Uni, man kommt schnell ins Gespräch. Diese Leichtigkeit war ansteckend.
Aber ich lernte auch die Kehrseite kennen: Hinter der Freundlichkeit steckt oft ein System, in dem man stark auf sich allein gestellt ist. Viele meiner Kommilitoninnen arbeiteten mehrere Jobs, um sich das Studium leisten zu können. Wenn jemand krank wurde, war das sofort ein finanzielles Problem. Ich merkte, wie privilegiert wir in Deutschland sind – mit kostenloser Uni, bezahlbarer Krankenversicherung, sozialer Absicherung. Dinge, die ich früher für selbstverständlich gehalten hatte, bekamen plötzlich Gewicht.
In den USA verstand ich, dass Freiheit nicht nur bedeutet, tun zu dürfen, was man will, sondern auch die Verantwortung dafür zu tragen. Ich begann Deutschland nicht mehr nur als „streng und bürokratisch“ zu sehen, sondern als Land, das Sicherheit schafft, damit Menschen überhaupt frei leben können.
Was mich in den USA am meisten überrascht hat, war dieses fast schon natürliche Gefühl von Gemeinschaft. Ich erinnere mich, wie meine Gastnachbarn mir am zweiten Tag einen frisch gebackenen Kuchen vorbeibrachten – einfach, um Hallo zu sagen. Oder wie Eltern sich nach Schulveranstaltungen stundenlang unterhielten, obwohl sie sich kaum kannten. Dieses offene Interesse am Gegenüber war neu für mich.
In Deutschland hatte ich oft das Gefühl, dass man erst Vertrauen aufbauen muss, bevor Nähe entsteht. Man hält lieber etwas Abstand, beobachtet, prüft. In den USA dagegen gehört Offenheit fast zur Kultur. Menschen sagen dir ohne Scheu, dass sie deine Jacke mögen oder dass sie stolz auf dich sind, selbst wenn sie dich erst seit fünf Minuten kennen. Anfangs kam mir das oberflächlich vor – irgendwann merkte ich, dass es einfach eine andere Art ist, Verbundenheit zu zeigen.
Ich habe gelernt, dass Gemeinschaft nicht immer tiefgründig sein muss, um echt zu sein. Manchmal reicht eine kleine Geste: ein Lächeln, ein „How are you?“, ein offenes Ohr. In den USA hatte ich oft das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein – selbst als Fremde. Dieses Gefühl wünsche ich mir manchmal auch für Deutschland.
Wir sind hier gut darin, Dinge perfekt zu organisieren, aber nicht immer darin, spontane Nähe zuzulassen. Vielleicht könnten wir etwas davon lernen: ein bisschen mehr Wärme, ein bisschen weniger Distanz. Denn Gemeinschaft beginnt nicht mit großen Worten, sondern mit kleinen Momenten des Miteinanders.
Jahre später zog es mich noch weiter weg: für ein halbes Jahr nach Singapur. Ich arbeitete

dort in einem Boarding House einer internationalen Schule – ein ganz anderes Leben. Statt College-Alltag gab es Uniformen, Regeln, Struktur. Singapur ist streng organisiert, fast schon überdiszipliniert – und gleichzeitig unglaublich vielfältig.
In „meinem“ Boarding House lebten Jugendliche aus verschiedenen Ländern. Beim Abendessen wurden verschiedene Sprachen durcheinandergeredet, und trotzdem verstand man sich. Diese kulturelle Vielfalt war nicht nur sichtbar, sie wurde gelebt. Niemand stellte Fragen nach „Herkunft“ oder „Zugehörigkeit“ – jeder brachte einfach sein Stück Welt mit.
Das hat mich tief beeindruckt. In Deutschland wird oft so viel über Integration und Identität diskutiert, dass wir vergessen, wie bereichernd Unterschiedlichkeit sein kann. In Singapur habe ich gelernt, Vielfalt nicht als Herausforderung, sondern als Geschenk zu sehen.
Während meines Praktikums in Singapur wurde mir noch einmal bewusst, wie sehr Bildung von gesellschaftlichen Strukturen abhängt. Dort herrscht ein enormer Leistungsdruck – Schüler lernen bis spät in die Nacht, viele besuchen zusätzlich Nachhilfe. Erfolg wird fast ausschließlich an Noten gemessen.
In den USA hingegen war Bildung teuer, aber oft praxisnah und selbstbestimmt. Deutschland liegt irgendwo dazwischen – und das ist ein großes Glück. Wir haben Zugang zu Bildung, ohne dass sie zum Luxusgut wird, und trotzdem genug Freiraum, um eigene Wege zu gehen. Früher habe ich mich oft über den Papierkram, die Verwaltung oder die Starrheit an deutschen Unis geärgert. Heute sehe ich das mit mehr Verständnis – weil ich weiß, wie wertvoll die Chancengleichheit ist, die dahintersteckt.
Es gab Momente, in denen ich Deutschland schmerzlich vermisst habe: echtes Brot, klare Jahreszeiten, ehrliche Gespräche, in denen man auch mal schweigen darf. Gleichzeitig habe ich in Amerika und Singapur eine Offenheit erlebt, die mir hier manchmal fehlt.
Als ich nach Deutschland zurückkam, hatte ich das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen. Ich sah Dinge, die ich früher nie bemerkt hatte – das Gemecker über Kleinigkeiten, die Vorsicht im Umgang mit Fremdem, aber auch die Zuverlässigkeit, die Ruhe, die Ordnung, die mir Halt gaben.
Heute weiß ich: Heimweh und Fernweh schließen sich nicht aus. Sie gehören zusammen. Das eine erinnert mich daran, wo ich herkomme – das andere daran, dass es noch so viel mehr zu entdecken gibt.
Wenn mich jetzt jemand fragt, wo ich „zu Hause“ bin, kann ich keine einfache Antwort geben. Ein Teil von mir gehört zu dem kleinen Ort in Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin. Ein

anderer Teil sitzt in einem amerikanischen Café mit Coffee-to-go und Notizbuch. Und ein weiterer in einem singapurischen Foodcourt, zwischen Düften von Curry, Nudelsuppe und gebratenem Reis.
Das Ausland hat mich gelehrt, dass Identität nicht statisch ist. Ich bin nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“. Ich habe deutsche Zuverlässigkeit, amerikanische Offenheit und singapurische Disziplin in mir – und das ist ein Gefühl von Zuhause, das mich überall begleitet.
Seit ich im Ausland gelebt habe, sehe ich Deutschland mit anderen Augen. Ich bin kritischer gegenüber unserer Engstirnigkeit, aber auch dankbarer für das, was funktioniert. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft mutiger, offener und ein bisschen gelassener werden – und dass wir lernen, die Welt nicht nur durch unsere eigene Brille zu betrachten. Denn manchmal muss man weit weggehen, um zu erkennen, wie viel man eigentlich schon hat.



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